Der Beratungsblog "Zukunft des Einkaufens" veröffentlicht einen Betrag von Martina Schimmel
Die Covid19-Pandemie und ihre Folgen haben das Einkaufsverhalten der Konsumenten nachhaltig verändert. Besonders der stationäre Handel muss sich jetzt neu erfinden, wenn er dauerhaft überleben will. Was hat sich verändert und welche Rolle kommt heute dem Sortiment im stationären Handel zu?
Dieses Schreckensbild zeigt sich momentan in vielen Innenstädten nach der Wiedereröffnung. Corona hat die Einkaufsgewohnheiten der Konsumenten nachhaltig verändert. 58 Prozent der Deutschen shoppen derzeit regelmäßig im Internet – genauso viele wie während des Lockdowns, so eine neue repräsentative Studie von Adobe
„Der Onlinehandel kann den Trend der vergangenen Monate bestätigen und wird zum Standard in unserer neuen Normalität“, so Christoph Kull, Vice President und Managing Director Adobe Central Europe bei Adobe.
Für den stationären Handel, der außerhalb der systemrelevanten Bereiche bereits durch den Lock-Down gravierende Einbußen hinnehmen musste, eine Hiobsbotschaft. „Kein Mensch muss zum Einkaufen noch in die Stadt kommen“, mit dieser markigen Aussage bringt Michael Reink, Standort- und Verkehrsexperte des HDE die aktuelle Situation auf den Punkt.
Shopping im stationären Einzelhandel wird immer mehr zur Freizeitbeschäftigung. Man geht in die Stadt, um sich mit Freunden zu treffen, in Geschäften zu stöbern und sich unterhalten zu lassen. Zumindest würden die Konsumenten das gerne. In der Realität stoßen sie allerdings häufig auf langweilige – weil überall identische – Innenstädte mit identischen Sortimenten und beliebigen Produkten. „Die Beliebigkeit resultiert aus der leicht behebbaren Vernachlässigung einer grundlegenden Kaufmannseigenschaft: der Warenkunde und der Sortimentskunde“, so schreibt der Handels-erfahrene Wirtschaftsredakteur Jochen G. Fuchs, in der Branche auch als E-Fuchs bekannt, in seiner bekannten Kolumne im Magazin t3n.
Seiner Meinung nach darf es in Zukunft nicht mehr darum gehen, die 20 Prozent des Sortiments zu definieren, die den meisten Umsatz bringen. Denn der Umsatz der Zukunft wird sich nicht mehr auf 20 Prozent des Sortiments verteilen, er wird sich breiter verteilen. „Es geht darum, die restlichen Prozentanteile möglichst sinnvoll zu selektieren und zu präsentieren. Besondere Produkte auf Lager haben, unspektakuläre Produkte in den Longtail verlagern und Lagerreichweiten reduzieren. Mehr ungewöhnliche Auswahl, weniger gewöhnliche Auswahl. Weniger Warendruck, mehr Sortimentsbreite und/oder Sortimentstiefe.“ Und natürlich das Angebot öfter zu wechseln.
Eines sollte der stationäre Handel allerdings nicht versuchen: Mit der Vielfalt des Onlinehandels zu konkurrieren. Stattdessen sollte er die Flut an Produkten durch gezielte Auswahl und Kuration zu seinem Vorteil machen. „Versäumt der Händler das, begeht er einen letzten, tödlichen Fehler“, so Fuchs.
Um den Händlern den Weg zu einer aktiven Sortimentsgestaltung zu erleichtern gibt es jetzt ein praktisches Arbeitsbuch. Entwickelt wurde es von Martina Schimmel, Deutschlandmanagerin der Beschaffungsplattform zentrada und Heike Scholz, Co-Gründerin von ZUKUNFT DES EINKAUFENS.
Das Arbeitsbuch „Sortimentsanalyse im stationären Handel“ führt die Nutzenden mithilfe von über 50 Fragen durch den Analyseprozess. Beginnend mit einer kurzen Beschreibung der eigenen Positionierung geht es sehr schnell in die Kundenanalyse und dann über die Betrachtung des aktuellen Sortiments und den Standort zu einer gemeinsamen Ideenfindung für weitere Sortimente.
Die Fragestellungen im Einzelnen:
Für die Umsetzung dieser Konzepte benötigt der Handel eine veränderte Beschaffungspolitik. Bislang waren regionale Händler auf wenige feste Lieferanten angewiesen, um die Effizienz und Qualität der Abwicklung zu gewährleisten.
Für die Zukunft benötigt der stationäre Handel jedoch eine zuverlässige Quelle mit vielen verschiedenen Produkten, die er in kleinen Mengen flexibel nach ordern kann.
Denn das Verhältnis zwischen Basissortiment und Wechsel-Sortiment muss sich deutlich ändern. Ein Glas-Porzellan-Händler hat heute die gesamte Breite der Marken und Produktwelten im Laden. In der Zukunft hat er ein kleineres Basissortiment und dafür einen größeren Anteil an wechselnden Sortimenten. Beispielsweise nach Saison, nach Themenwochen (französische Woche etc.) oder nach regionalen Gesichtspunkten.
Der stationäre Handel muss, wenn er überleben will, seine Kundschaft – auch die Laufkundschaft – inspirieren und begeistern mit neuen Ideen und neuen Produkten. Idealerweise mit Produkten, auf die der Besucher von selbst gar nicht kommt – denn sonst hätte er es wahrscheinlich bereits im Internet gesucht und gekauft.
Über die Autorin: Martina Schimmel (Dipl.-Kfm.) ist Deutschland-Managerin der Beschaffungsplattform zentrada und damit bei dem europaweiten Großhandels-Marktplatz für die Betreuung der deutschen Lieferanten sowie Einkäufer verantwortlich. Die gelernte Journalistin beschäftigt sich seit Jahren mit den innovativen Themen des Handels.